Die sieben Orgelkonzerte von Händel entstanden allesamt zwischen 1740 und 1751
und waren ursprünglich als Aufführungsinhalte innerhalb der Oratorien gedacht. Das
zweite wurde beispielsweise im Rahmen von „Samson“ aufgeführt, während das fünfte
Teil von „Theodora“ gewesen ist. Als musikalisches Material finden sich häufig Zitate
aus Händels` eigenen Cembalowerken, aber ebenso von Telemann.
Das erste Konzert aus dem Zyklus, entstanden 1740, wurde wahrscheinlich auf der
Doppelmanual-Orgel im Londoner „Lincoln`s Inn Fields“ gespielt, wofür
möglicherweise eine der Tastaturen mit dem unteren Register verbunden werden
musste.2 Dieser Umstand ist insofern interessant, weil die früheren Orgelkonzerte op.4
für ein einmanualiges Instrument geschrieben und somit vom Charakter als deutlich
inniger und intimer zu beschreiben sind, sodass sich ein eher kammermusikalisches
Klangbild ergibt. Ebenso wird jetzt explizit die Verwendung des Pedals mit
einbezogen, bei Händels` sonst eher vom italienischen Positiv geprägten Erfahrungen
bezüglich der Orgeltechnik, wo das Pedal bestenfalls als Anhängsel galt, ist dies ein
bemerkenswertes Detail.
Die erneute Bestrebung des Komponisten, sich erneut Orgelkonzerten zuzuwenden,
hing möglicherweise mit seiner beginnenden Erblindung zusammen, die zu einer aus
Improvisationen erwachsenen Kompositionstechnik führte. Händel, der für seine
Improvisationskunst an der Orgel bekannt war, könnte auf diese Art und Weise einen
Weg gefunden haben, sein gewaltiges Schaffen weiterzuführen.
Das erste Orgelkonzert aus op.7 (HWV 306) in B-Dur besteht aus vier Sätzen
(Andante, Andante, Largo e piano, Bourree: Allegro). Die Besetzung besteht neben
der Orgel aus zwei Oboen, zwei Violinen, einer Viola und einer Bassgruppe, die vom
Cembalo, einem Violoncello, einem Kontrabass und einem Fagott gebildet wird. Die
ersten beiden Sätze sind Chaconne-artig konzipiert, wobei die Orgel in kunstvollen
Variationen über dem Generalbass brilliert; als Hinweis auf die Aufführungspraxis wird
von Händel an einigen Stellen ausdrücklich „Organo ad libitum“ gefordert. Nach einer
Art Ruhepol im dritten Satz findet das Konzert seinen Abschluss in einer Bourree3.
Im Folgenden soll der dritte Satz „Largo e piano“ einer harmonischen und formalen
Analyse unterzogen werden.
Der Abschnitt steht in d-Moll sowie im 3/2-Takt, alle Instrumente sind mit einfachem
„Piano“ bezeichnet, die Länge beträgt 53 Takte. Die Orgel und die Bassgruppe
beginnen unisono zusammen mit einem in Vierteln geführten, gebrochenen Akkord in
der Grundtonart, die Oboen werden ausgespart („Oboe I+II taceat“). Dieser wird über
die nächsten Takte ostinatoartig über Tonikahauptfunktionen zu einem Halbschluss in
Takt 6 entwickelt.
Die Harmoniefolge wird hierbei durch die in Terzen geführten
übrigen Instrumente gestützt. Die Orgel zeigt sich im Moment noch untergeordnet und
ist nicht als solistisches Mittel wahrnehmbar. Ein kurzer Kontrast entsteht in den
Takten sechs und sieben, in denen die Bassbegleitung ausgesetzt wird und dadurch
die Viertelfolgen der Streicher als rhythmisch-prägendes Element noch deutlicher
hervortreten.
Insgesamt ist der Aufbau deutlich einer „Chaconne“ angelehnt, die identische Führung
der Orgelstimme und der Bassriege bleibt bis zum Satzende bestehen. Mit dem
Halbschluss wird ein absteigendes Motiv in den Streichern eingeführt, das sich sowohl
harmonisch als auch strukturell an der Bassfigur orientiert und in Takt zwölf in einem
Ganzschluss in d-Moll endet.
Ab Takt acht teilen sich Violinen und Viola derart auf,
dass das erwähnte Motiv von der ersten Violine gespielt und von der Violine II und
Viola eine Begleitfunktion übernommen wird.
Hierbei ist bemerkenswert, dass der
Chaconne-artige Beginn sich in sechs Takte gliedern lässt, während man eher eine
Einheit von vier oder acht Takten erwarten würde .4 Insgesamt wirkt dieser Beginn wie
eine instrumentale Einleitung, während am Ende von Takt zwölf die Orgel zum ersten
Mal in den Vordergrund tritt.
Im folgenden Verlauf dominiert die Orgel zunächst durch gehaltene Liegetöne,
während die übrigen Instrumente unisono spielen und in den Hintergrund rücken, was
auch durch die Bezeichnung „pianissimo“ in der ersten Violine verstärkt wird. Die
Begleitung besteht wieder aus Chaconne-artigen Dreiklangsbrechnungen, und führt
über die Tonikahauptfunktionen bzw. verwandte Klänge zu einem erneuten
Ganzschluss in Takt 20.
An diesem Punkt lässt sich eine Zäsur setzen, bzw. das Ende eines gedachten ersten
Großabschnitts von Einleitung und Einführung der Orgel als bestimmendes Mittel
postulieren. Das anfangs präsentierte Material wurde harmonisch ähnlich behandelt,
um, nach der Etablierung einer bekannten Harmonik, in der Tonika zu enden.
In den folgenden Takten zeigt sich eine Weiterentwicklung über eine angedeutete
Quintfallsequenz; die Akkordbrechungen führen in den Violinen über die
Tonikaparallele F-Dur zu C-Dur und B-dur, sodass es schließlich in Takt 30 kurzzeitig
zu Etablierung eines neuen tonikalen Zentrums F-Dur kommt. Dieser Umstand wird
merklich durch die Verwendung einer Bassklausel in Takt 29 unterstützt.
Die gesamte
Passage ist geprägt von der Gegenüberstellung von der Orgel als Ruhepol mit eher
längeren Noten und der Viertelbewegungen in den Streichern. Die Bassgruppe
unterstützt die Orgel annähernd unisono. Ab Takt 30 zeigt sich eine kleine Modulation
in der Orgel, die für zwei Takte alleine auftritt, jedoch ohne solistische oder virtuose
Absichten; hierbei wird scheinbar die Rückkehr in die Grundtonart d-Moll über die
Dominante A-Dur vorbereitet, bzw. vorweggenommen. Ab Takt 33 treten die übrigen
Instrumente in bekannter Form mit Viertelfolgen wieder hinzu und festigen den
Eindruck von D-Moll durch abwechselnde Dominante-Tonika-Wechsel. Etwas
überraschend wird in Takt 36 eine Zwischendominante D-Dur eingeführt, die letztlich
drei Takte später in G-Moll endet.
Erneut tritt die Orgel für zwei Takte isoliert auf und festigt den dominantischen
Eindruck von A-Dur, in dem der Ton „A“ lange ausgehalten und durch
Dreiklangsbrechungen mit Leitton in der linken Hand unterstützt wird.
Reprisenartig
wird die Harmonik durch lamento-ähnlich fallende Viertelfiguren durch die Streicher
gefestigt. Die endgültige Rückkehr nach d-Moll gelingt im sechstletzten Takt, die Orgel
findet ihren letzten Melodieton in einem als ganzen Note ausgehaltenem „D“.
Bis zum Ende des Satzes wird in den letzten sechs Takten, ähnlich dem Anfang, die
Chaconne-Figur präsentiert, unisono gespielt durch die Bassgruppe und das tiefe
Orgelregister. Flankiert wird dieses Ende von halben Noten in den
Begleitinstrumenten, was insgesamt wieder sehr an den Beginn erinnert. Die
Schlussnote im letzten Takt wird durch die bekannten Klauseln erreicht.
Für mich subjektiv bemerkenswert ist, wie Händel eine harmonische Dichte erzeugt,
obwohl die Satztechnik stets transparent bleibt; dies wird nicht zuletzt bedingt durch
eine sehr ausgewogene „Aufgabenverteilung“ zwischen Orgel und Begleitung, wobei
die Orgel sowohl eine Hintergrundfunktion, als auch ein vorwärtsstrebendes Element
bildet. Die Gegenüberstellung symmetrischer Notenwerte, die sich fast immer gut in
Halbe und Viertel gliedern lassen, verleiht dem Stück eine ausgesprochen strukturelle
Wirkung. Dies wird wiederum verstärkt durch die gedachte Dreiteilung mit Einleitung,
thematischer Verarbeitung und abschließender Reminiszenz, bzw. Reprise mit
Schlussteil.