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Entwicklungen des Modern Jazz in den 1960er bis 1970er Jahren

„Jazz“ als Musikrichtung findet seine Ursprünge Anfang des 20. Jahrhunderts in den amerikanischen Südstaaten und wurde zu dem Zeitpunkt vorwiegend von der dortigen schwarzen Bevölkerung ausgeübt. Intention war u.a., die afroamerikanische Musikkultur, bzw. die der Vorfahren, bei denen es sich zu meist um Sklaven handelte, zu erhalten. Bedingt durch begrenzte Ressourcen kam es häufig zur Verwendung minderwertiger europäischer Instrumente, gleichzeitig bildeten sich ganz eigene Merkmale heraus, die insgesamt als amerikanische Gegenbewegung zu europäischer Kunstmusik aufgefasst werden können; dazu gehören Improvisationen, vergrößerte Soloparts, die Einbeziehung des Publikums oder allgemein die ungezwungenere Atmosphäre. Als erster Jazzstil wird im Allgemeinen die Entwicklung des „New-Orleans“-Jazz ab ca. 1900 bezeichnet; musikalisch auffällig ist hierbei vor allem die Unterteilung in eine Melodie- und Rhythmusgruppe . Ausgehend von diesen Anfängen entwickelten sich weitere, teils sehr konträre Stilistiken.
In diesem Rahmen soll, nach einer kurzen Einführung, der Zeitraum von ca. 1960 – 1970 mit der Richtung des „Modern Jazz“ behandelt werden. Die Vorläufer dieser Richtung reichen bis in die 1940er Jahre zurück und werden retrospektiv als „Bebop“ bezeichnet (Teilweise wird der Bebop auch als erste Form des Modern Jazz definiert). Während die Swingmusik bereits auf ihrem Höhepunkt kulminierte, begaben sich wieder vorwiegend schwarze Musiker aus dem New Yorker Raum auf die Suche nach neuen Ausdrucksformen; im Mittelpunkt stand hierbei zunächst die „Jam Session“ als ein Zusammenspiel ohne Rücksicht auf ein mögliches Publikum. Im Gegensatz zum Swing sollten nicht mehr das Tanzen und die Körperlichkeit im Vordergrund stehen, sondern die Möglichkeit, schnelle Musik auch als Konzertform in entsprechendem Ambiente zu präsentieren. Im selben Zug wurde das Element der Improvisation noch stärker in den Vordergrund gerückt, Überlegungen zu Form und Aufbau traten entsprechend in den Hintergrund. Insgesamt kann diese Richtung auch als bewusster Protest gegen die Kommerzialisierung und Ausbeutung des Swing durch weiße Geschäftsmänner aufgefasst werden. Bekannte Vertreter stellen Thelonious Monk, Charlie Parker oder Dizzy Gillespie dar.
Die Bezeichnung „Modern Jazz“ geht auf eine aus der Rhythmusgruppe der „Dizzy-Gillespie-Band“ entstandene gleichnamige Bandformation zurück, die Anfang der 1950er Jahre in Erscheinung trat, prägende Merkmale waren u.a. die Verbindung von Elementen europäischer Kammermusik sowie des „Cool Jazz“ (s.u.), wodurch insbesondere auch ein gebildeteres Publikum erreicht werden konnte, welches bisher mit Jazz nicht in Berührung stand . Heutzutage subsummiert man unter dem Oberbegriff des „Modern Jazz“ mehrere Stile mit spezifischen Eigenschaften (Latin-, Rock-, Free-, Cool-Jazz sowie Hard-Bop und Post-Bop mit Souljazz) die sich durch die eher konzertante Aufführungspraxis ähneln und vor allem ab ca. 1960 in Erscheinung treten. Im Folgenden soll jede einzelne dieser Richtungen umrissen werden.

Latin Jazz bezeichnet als Sammelbegriff sämtliche Ausprägungen, in denen die Jazzmusik mit lateinamerikanischen Elementen verknüpft wird. Die Einbeziehung speziell auch folkloristischer Tradition findet sich historisch gesehen bereits viel früher, so wird bereits ab dem Mittelalter von einer Vermischung maurischer, spanischer und afrikanischer Musik ausgegangen. Die Verwendung des „spanish tinge“, einer afro-lateinamerikanischen rhythmischen Spielart, zeigte sich so bereits bei W.C. Handy im „St-Louis-Blues“ von 1914. In der New-Orleans-Ära kam es außerdem zur Aufnahmen mit Rhumba- und Merengue-Elementen durch Sydney Bechet; Duke Ellington war außerdem für die Zusammenarbeit mit puertoricanischen Musikern bekannt, sodass auch Einflüsse im Swing zu finden sind.
Je nach Kombination lassen sich somit zusätzliche Unterteilungen in den kubanischen, europäischen oder brasilianischen Stil bilden. Erst ab den 1950er Jahren wurde der Latin Jazz als eigener Spielart definiert, Hauptmerkmal ist die ausgeprägte Benutzung von Percussionsinstrumenten wie Congas oder Trommeln . Bekannte Vertreter sind bzw. waren Tito Puente, Chick Corea, Dizzy Gillespie oder Sérgio Mendes.

Die Richtung des Hard Bop entstand einerseits als Weiterentwicklung des Bebop, andererseits als schwarze Protestbewegung im Gegensatz zum sogenannten „West Coast Jazz“ (einer Unterart des Cool Jazz), welcher vor allem von weißen und modisch gekleideteten, weißen Interpreten gespielt wurde. Die schnellen Läufe des Bebob wurden angepasst sowie vereinfacht und um rhythmische Elemente des Soul und Blues sowie des Gospels erweitert; zur Wahrung der Intensität kam es auch zur Verwendung von Quartenharmonik. Wichtige Künstler waren hierbei Miles Davis und Nat Adderley.

Im Soul Jazz, ab den 1970er Jahren, kombinierten die Musiker die erwähnten Einflüsse aus dem Blues und dem Gospel auf noch intuitivere, vereinfachte Art und Weise, sodass sehr sangliche Melodien und gut zu verinnerlichende Rhythmen entstanden. Teilweise wird diese Richtung auch dem Funk zugerechnet. Hauptvertreter waren u.a. das Cannonball-Adderley-Quintet, das Ramsey-Lewis-Trio sowie Lonnie Smith und Jimmy Smith.

Als Post-Bop bezeichnet man die Kombination des Hard-Bop mit Bestandteilen des „Modal Jazz”, einer auf Skalen und Kirchentonleitern, weniger akkordisch geprägten Richtung, welche schlussendlich zum Free Jazz der 1970er Jahre überleitete. Prägend hierbei waren John Coltrane, Miles Davis und Charles Mingus.

Rockjazz, auch genannt „Fusion“, entstand aus der Verbindung von Jazzmusik mit Elementen aus der Rockmusik. Als besonders reizvoll entpuppte sich hierbei vor allem die teils unterschiedliche Auffassung rhythmischer Spielweisen aus beiden Richtungen, die der entstehenden Musik eine ganz eigene Note gaben. Anfänge des Jazzrock finden sich in New York ab Mitte der 1960er Jahre durch erstes Zusammenspiel von Jazz- und Rockmusikern und dem, im wahrsten Sinne des Wortes, vorsichtigen Herantasten durch die Instrumentalisten. Prägende Musikgruppen waren Jeremy and the Satyrs, Blues Project und Free Spirits. Ungefähr zeitgleich kam es auch in Europa zu einer ähnlichen Bewegung, die jedoch keine besondere Beachtung fand. Das Erscheinen der LP „Bitches Brew“ von Miles Davis stellte diesbezüglich einen Wendepunkt da, weil erstmals in größerem Stil elektronische und teils dem Rock entlehnte Instrumente verwendet wurden. Auch die Rolle der Instrumentalisten unterscheidet sich insofern von vorherigen Strömungen, als dass diese im Rockjazz weitgehend gleichberechtigt auftraten. Dieses stellt vor allem auch einen Gegensatz zum „Jazzrock“ dar. Bedeutende Vertreter sind, bzw. waren Herbie Hancock, Chick Corea oder eben Miles Davis, stilprägend auch das Album „The inner mounting flame“ vom Mahavishnu Orchestra.

Cool Jazz bezeichnet eine Richtung des Jazz mit eher konzertanter Ausprägung und stärkerem Fokus auf die Form. Durch die Verbindung von Improvisationen und auskomponierten Anteilen ergaben sich komplizierte Arrangements; der vom spontanen weg und eher dem Konstruierten zugewandte Gestus erklärte sich u.a. auch durch die häufig anzutreffende akademische Ausbildung der Musiker . Die Bezeichnung „Cool“ ist hierbei eher als „introvertiert“ denn als „kühl“ zu verstehen. Häufig anzutreffende Eigenschaften waren das Spiel mit wenig Vibrato, gleitende Melodiebewegungen sowie Besetzungen in Trio bis Sextett und die Einbeziehung europäischer Kunstmusik, z.B. von Debussy . Quasi als Schlagwort einer europäischen Kultiviertheit wurde die Bezeichnung „Cool Jazz“ durch Plattenlabels und Jazzkritiker ab dem Beginn der 1950er Jahre geprägt und bezeichnete die durch die oben beschriebenen Eigenschaften ausgelöste, etwas „trockene“ und eher zurückhaltende Hörerfahrung. Einen Meilenstein stellte, wieder durch Miles Davis, das Album „Birth of the Cool“ dar. Weitere relevante Interpreten waren z.B. der Pianist Lennie Tristano oder Dave Brubeck. Das bekannte Stück von Brubecks Band, „Take Five“ aus dem Album „Time Out“ steht wie kaum ein anderes für den Cool Jazz, die Komposition erfolgte allerdings durch den Saxophonisten Paul Desmond. Eine etwas abweichende Rolle wurde von John Lewis und dem „Modern Jazz Quartett“ (s.o.) eingenommen; diese Formation stellte sich nicht nur als die langlebigste heraus, sondern entwickelte eine durch Fugen, Kontrapunkt und weitere klassische Elemente geprägte Musik, die schlussendlich als „Third Stream“ bezeichnet wurde; hierbei ist das bewusste Kombinieren von Jazz als „First Stream“ und europäischer Kunstmusik als „Second Stream“ bis hin zu einem Extrem gemeint, dessen Resultat nicht mehr dem Jazz zuzuordnen ist.

Free Jazz bezeichnet eine Entwicklung ab den 1960er Jahren, in der vor allem das ungezwungene Improvisationsspiel im Vordergrund stand; eine komplette „Regellosigkeit“, wie der Begriff impliziert, ist jedoch nicht gemeint. Der Begriff wurde durch das gleichnamige Album von Ornette Coleman geprägt . Ausgehend von Klangexperimenten, dissonierenden Akkorden und teils auch Geräuschelementen, etablierte sich der Free Jazz als neue Richtung, dem viele Hörer zunächst eher ablehnend gegenüberstanden. Die Auflösung einer festen Grenze zwischen Probe und Konzerterlebnis stellt eines der Identifikationsmerkmale des Genres dar; das dadurch vereinfachte, stilübergreifende und freiere Zusammenspiel ebnete den Weg für die weitere Verbindung von Jazz und anderen Musikrichtungen, z.B. von Weltmusik. Weitere wichtige Vertreter bzw. Alben waren Cecil Taylor mit „Conquistador“ (1966) oder Synopsis mit „Auf der Elbe schwimmt ein rosa Krokodil“ (1974).


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