Partitur (PDF)
(Noteperformer-Version)
Das vorliegende Stück stellt sich zunächst als Studie zum Umgang mit variablen musikalischen Elementen dar, die zueinander in Beziehung gesetzt werden. Im Zuge meiner eigenen kompositorischen Entwicklung stellte sich im Vorhinein des Öfteren die Frage, wie Musik aus Strukturen, die weder harmonisch eindeutig sind noch einen melodiehaften Charakter aufweisen, konstruiert werden kann.
Hierbei empfand ich besonders die Frage interessant, inwieweit Prinzipien „klassischer“ Motivarbeit abstrahiert und auf ein atonales Konzept anwendbar werden können. Nach diversen Vorstudien zu dieser Thematik rückte jedoch ebenso die Nutzbarmachung von mir bisher vernachlässigten Parametern wie Ambitus und Dynamik in den Fokus. Das dritte Augenmerk in der vorliegenden Komposition soll diese musikalischen Eigenschaften zwischen den Polen von Singularität und Minimalismus sowie liegenden Klangflächen mit wechselnden Tempi ausloten.
Die Wahl der Instrumentation und Beschränkung auf zwei Instrumente ergibt sich einerseits aus dem breiten Ambitus; andererseits habe ich mich zur Entstehungszeit des Stückes für verschiedene Spieltechniken von Streichern interessiert, die nicht unter „erweiterten Instrumentalgebrauch“ fallen, weil die Fülle der Möglichkeiten sonst unüberschaubar werden würde. Die Verbindung mit dem Klavier dient als Mittel zum Zweck Kontraste, z.B. in Form von Clustern, zu ermöglichen, jedoch ebenso gemeinsame Klangformen im Zusammenspiel zu bieten. Auch hierbei wurde bewusst auf erweitere Verwendung des Klavieres (z.B. Percussion auf dem Korpus) verzichtet, um den Fokus auf die oben beschriebenen Fragestellungen zu richten. Somit sind das Arrangement und der Gesamtgestus der Komposition untrennbar miteinander verbunden und auf die spezifischen Instrumenteneigenschaften zugeschnitten.
Das Stück (Tempo: 60 bpm) beginnt mit einem sich über eine Oktave erstreckenden, arpeggierten Cluster im Klavier, während sich die Violine, ebenfalls im Fortissimo, einer Tritonusbewegung nach oben bedient und im Laufe der nächsten Takte zwei motivische Hauptelemente der Komposition vorstellt. Diese sind in der 16tel-Kombination (I) sowie der 32tel-Quintolenfigur (II) zu finden. Im zweiten Takt findet sich in der Bassstimme des Klavieres eine Triolenfigur (III) als weiteres Grundelement.
Die Klangfläche des Klavieres in Form eines Clusters (IV) steht zunächst als ruhender Gegenpart zur agitierten Geigenstimme, die sich bis zum dritten Takt in großem Tonhöhenambitus empor bewegt und gleichzeitig zwischen Extremen in der Dynamik pendelt.
Das Klavier hingegen spielt tendenziell in tiefen Lagen und bedient sich, von zwei Ausbrüchen abgesehen, der leisen Töne. Diese bringen dem Hörer dezent synkopierte, kurze Klangbausteine in Form von Einzelnoten näher (V).
Die Präsentation der genannten Einzelbausteine erstreckt sich bis einschließlich in den siebten Takt, das Quintolenmotiv (II) taucht erstmals in der Klavierstimme auf, welche den Sinnabschnitt mit einer der Clusterfigur entlehnten Struktur abschließt.
Im achten Takt kommt es zu einem raschen Tempowechsel auf 100 bpm, der Fokus wird auf die isolierte Behandlung des 16tel-Elementes (I) sowie den Wechsel zwischen „pizzicato“ und „arco“ in der Geigenstimme gesetzt. Strukturell betrachtet wird in allen Stimmen zunächst vom selben motivischen Ursprung (I) Gebrauch gemacht; dies geschieht sowohl wieder durch Verwendung synkopierter Einzelnoten als auch gelegentlicher Doppelnoten. In Takt 9 lässt sich hierbei in der Bassstimme des Klavieres ein Zitat des Clustermotivs (IV) erkennen.
Das rhythmisch-motivische Konzept wird untermauert durch eine kontrastreiche Behandlung der Dynamiken; diese bewegen sich im Bereich von dreifachem Piano bis zu dreifachem Forte. Nicht zuletzt auch durch vereinzelte Staccati soll dem Hörer die Präsenz von Tondauern und Lautstärken als musikalisch-technische Behandlung zur Formung des akustischen Gesamteindrucks deutlich gemacht werden; die Tonhöhe des einzelnen Klangereignisses tritt zurück in den Hintergrund.
Mit Auftreten der Triolen (III)- und Quintolenfigur (II) im zehnten, bzw. elften Takt ändert sich die Tonkonstellation in Richtung der motivischen Basiselemente; zunächst jedoch tritt die Geige für einige Takte solo zu Tage, mit einem als Flageolett gespielten Ausreißer nach oben (a'''), dazu mit dreifachem Piano bezeichnet, um dann, abrupt, auf ein dreifaches Forte hinabzufallen. Hierbei wird nahezu der gesamte Ambitus des Instrumentes überbrückt und die Variabilität der Geige in Bezug auf Klangfarbe unterschiedlicher Tonhöhen aufgezeigt.
Während ab jetzt das Klavier ebenfalls wieder einsetzt, gibt es im Wechsel Anklänge der Triolen (III)- und Quintolenfigur (II), bis in Takt 20 wieder ein liegendes Klangereignis hoher Lage im Flageolett der Violine erfolgt. Dies geschieht dieses Mal jedoch mit Unterstützung des Klavieres. Ähnlich wie in Takt 16 wird auch dieser Ton vom Quintolenmotiv (II) abgelöst.
Nach einem Fall auf das tiefe Gis erfolgt ein erneuter Sprung in die Höhe, diesmal mit dreifachem Forte bezeichnet, bis zum Metrumwechsel in Takt 25.
Das Klavier, ebenfalls mit sehr lauter Dynamik versehen, erreicht den Höhepunkt des Taktes auf A´´´´. Kompositorisch interessant stellt sich der Umstand heraus, wie von Natur aus relative Dynamikbezeichnungen durch die Bauart des Instrumentes bedingt, noch mehr an absoluter Aussagekraft verlieren. Dies wird potenziert durch spezielle Eigenheiten der Spieltechnik, die Vergleichbarkeit des wenige Takte zuvor hörbaren Flageoletts, ohnehin schon leise, jedoch zusätzlich mit fünffachem Piano bezeichnet und des jetzt in dreifachem Forte zu hörenden gegriffenen Tones, ist nicht gewährleistet. Noch dazu kommt die Klanggewalt des Klavieres, welches hierbei eindeutig die akustische Oberhand gewinnen würde, wäre es nicht durch zeitlich kurze Tonbegrenzungen eingeschränkt.
Nun folgt eine Änderung des Metrums auf 3/8. Zweck dieser Anpassung, gepaart mit der Rückkehr auf 60 bpm, ist die Untersuchung des Einflusses solch globaler Parameter auf die Behandlung der kompositorischen Elemente. Standen diese bisher mit ihren individuellen Eigenschaften und ihrer Nutzbarmachung in einzelnen Stimmen gegenüber, verschiebt sich jetzt die Wirkung jedes einzelnen.
Die clusterähnliche Viererkombination der rechten Hand (Takt 30) im Klavier findet zwei Takte später (Tempo: 60 bpm) ihren im Staccato notierten Gegenspieler. Gleich darauf nimmt sie eine ähnliche Form an wie direkt vor dem Tempowechsel, wird jetzt jedoch eindeutig mehr als Fläche wahrgenommen.
Interessant für mich ist die Frage, ob das voran gegangene Staccato noch Sinn machen kann; bisher wurde es in wortwörtlichem, gestoßenen Sinn benutzt, merklich bedingt durch das Tempo von 100 bpm.
Jetzt hingegen scheint die Aussageabsicht bei weitem nicht mehr so deutlich, weil der Grundschlag sehr viel langsamer ist. Ähnlich kritisch lässt sich die Dynamik betrachten: Das dreifache Forte der Geige, zunächst vom Lautstärkepegel her dem Klavier unterlegen, kann sich dennoch behaupten, weil der gehaltene Klavierton (linke Hand) ab Takt 35 allmählich abschwillt, während die Violine es vermag, ein durchgehendes Level an Lautstärke zu erhalten. Ebenso kann sie das Dynamikniveau problemlos variieren, bis hinunter zu einem dreifachen Piano (Takt 40).
Quasi als Bestätigung antwortet das Klavier über etwas mehr als zwei Takte mit einem dreifachen Forte.
Fast unhörbar leitet die Rückkehr zum Tempo von 100 bpm in Takt 43 einen neuen Sinnabschnitt ein; es gibt nun längere Klangdehnungen, auch über Taktgrenzen hinweg. Wäre das Ziel einer Flächenbildung durch Wahl eines langsameren Schlagtempos sicherlich einfacher zu bewerkstelligen, rückt gerade hierbei in den Vordergrund, wie das Verhalten metrisch längerer Elemente bei hoher Geschwindigkeit funktioniert. Dies kann teilweise als logischer Gegenpart zum vorhergehenden Teil betrachtet werden.
Grundsätzlich beschäftigt mich die Frage, ob „Klangballungen“, eine „Teppich“-artige Gesamtklangkulisse mit vorliegender Besetzung überhaupt möglich sind.
Im letzten Abschnitt wurde bereits erörtert, wie abnehmende Lautstärken im Klavier bei liegenden Tönen, zusätzlich begünstigt durch langsame Tempi, diese Absicht behindern.
Jetzt hingegen werden Fragmente der Grundelemente mit höherem Grundschlag verwendet, so dass eine Gratwanderung zwischen nahezu gleichbleibenden Dynamiken liegender Töne im Klavier und konstantem Lautstärkepegel in der Geige möglich wird.
Sowohl Dynamikbehandlung als auch Anpassung der Klangdauern führen jedoch nicht zu einer Verschmelzung von Klangfarben. Dies erfolgt selbst nicht bei letztmaliger Rückkehr auf ein Tempo von 60 bpm in Takt 53 und nun folgenden deutlich länger ausgehaltenen Klängen.
Die Änderung hin zu einem 4/4-Takt kurz vor Schluss soll allerdings illustrieren, dass das Metrum bei Klangflächen und langsamen Tempi an Relevanz verliert. Grundsätzlich bleibt zu erörtern, ob kammermusikalische Besetzungen flächentauglich sind, bzw. wie viele Instrumente akustischer Art mindestens zur Flächenbildung von Nöten wären.